Lebenskonzepte - Risiken und Nebenwirkungen

Lebenskonzepte - Risiken und Nebenwirkungen

Worauf kommt es im Leben an? Was will ich? Was ist gut und was ist böse? Wir alle haben mehr oder weniger klare Antworten auf diese Fragen, auch wenn sie uns manchmal nicht so recht bewusst sind. Nun ist es sicher sinnvoll, wenn man in etwa weiß, was man will und wie das Leben - der eigenen Auffassung nach funktioniert oder funktionieren sollte. Andererseits haben allzu fixe Lebenskonzepte auch so ihre Nachteile.

Mir wurde das neulich ziemlich klar, und zwar beim Lesen von Juli Zehs Roman "Unterleuten". In diesem Roman schildert Zeh die Konflikte, die in einem kleinen Brandenburger Ort ausbrechen, als dort ein Windpark gebaut werden soll. Die Menschen, die an diesen Konflikten beteiligt sind, verfolgen alle einen Plan und haben eine Idee davon, wie ihr Leben, ja das Leben überhaupt, funktionieren soll. Man könnte auch sagen, sie haben eine Idee davon, was gut ist. Da ist die ehrgeizige "Pferdefrau" aus dem Westen, die unbedingt Pferde züchten und damit erfolgreich sein will, koste es, was es wolle. Da gibt es den altlinken Soziologen aus Berlin, der sich als Vogelschützer betätigt, einen alten Kommunisten, der immer noch mit der Wende hadert, einen Landwirt, der die örtliche landwirtschaftliche GmbH retten will und nebenher noch zwei Frauen unter einen Hut bringen will, einen bayerischen Investor, dem Land und Leute recht egal sind, und noch ein paar mehr. Am Schluss stehen mehrere gescheiterte Beziehungen, ein Selbstmord und zwei Schwerverletzte. Kein sehr lustiges Buch.

Die Romanfiguren scheitern keineswegs zufällig. Sie scheitern deswegen, weil sie an ihrem Lebenskonzept, ihrer Idee vom guten Leben festhalten und dabei ihre Mitmenschen nicht in Blick bekommen. Anstatt sich wirklich miteinander auseinanderzusetzen, spielen sie ihre Rollen und weisen den anderen ebenfalls Rollen in ihrem Privatdrama zu.

Das jeweilige Lebenskonzept verstellt ihnen aber nicht nur den Blick auf die anderen, sondern auch auf die konkrete Situation. Damit aber sind sie außer Stande, zu erkennen, was hier und jetzt wirklich möglich und gut wäre. Das praktische Gute aber ist, darauf hat schon Aristoteles hingewiesen, immer konkret und nicht abstrakt. Anders gesagt, wenn ich wissen will, was hier und jetzt zu tun ist, kann ich mich nicht darauf beschränken, allgemeine Lebensregeln nur noch anzuwenden. Ich muss im Gegenteil die konkrete Lage genau betrachten.

Wie oft machen wir es genauso? Anstatt uns zu fragen, was hier und jetzt ansteht, messen wir das Leben an Plänen und Konzepten, die vielleicht in diesem Moment gar nicht mehr passen. Nichts gegen Überzeugungen, Werte, Ziele und Prinzipien. Sie können den Blick auf die konkrete Situation schärfen und für Dynamik und Orientierung sorgen. Diese allgemeinen Gesichtspunkte müssen sich aber daran messen lassen, ob sie uns hier und jetzt den Blick eher verstellen oder ihn schärfen. Das gute Leben ist immer das konkrete Leben in diesem Moment und an diesem Ort.


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